Trump und die Zeitenwende

Peter Conzelmann

Ja, die Auguren haben sich massiv getäuscht. Die Prognosen zahlreicher Politikwissenschaftler, politischer Journalisteninnen und Kommentatoren, selbst professioneller Meinungsforscherinnen und Demoskopen lagen komplett daneben. Es war kein, wie vielfach annonciert, Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Kamala Harris und Donald Trump, das vor allem die politische Linke mit Hoffnung erfüllte. Im Gegenteil: Trump hat auf ganzer Linie gesiegt. Nicht nur wurde er ein zweites Mal ins Amt des US-Präsidenten gewählt – und das nach allem, was er auf dem Kerbholz hat, von privatrechtlichen Prozessen bis hin zum versuchten Staatsstreich vom Januar 2021. Auch seine ihm hörige Partei der „Republikaner“ wurde zur uneingeschränkt stärksten Kraft im US-Kongress. Trump kann nun vier Jahre durchregieren. Besser geht’s aus seiner Sicht nicht.

Nun treten, quasi in einer publizistischer Gegenwelle zu den Einlassungen der politischen Romantiker der letzten Wochen, die politischen Realisten auf den Plan. Letztere rechnen ab – zu Recht – mit den Täuschungen und Illusionen der Ersteren. Und sie rechnen penibel vor, warum der Wahlkampf von Kamala Harris und ihrer Partei der „Demokraten“ scheitern musste, vor allem aber, warum es Donald Trump gelungen ist, in Wählerschichten vorzudringen, die doch eigentlich dem Lager der Demokraten zuzurechnen gewesen wären: Latinos, Schwarze, Frauen. Manche können es dabei auch nicht lassen zu frohlocken, wie der liberale bzw. linke bzw. woke Zeitgeist, vor allem an den elitären Hochschulen und in den besseren Wohnvierteln, Schiffbruch erlitten hat („Woke is broke!“).

Politische Realisten sind es, die nun den politischen Romantikern und dem Rest des staunenden Publikums raten, dass und wie man mit dem neuen Machthaber in Washington umgehen müsse. „If you can’t beat them, join them“, so lautet eine dem US-Senator James E. Watson Anfang der 1930er Jahre zugeschriebene Maxime. Das klingt abgeklärt und weise und wird in- und außerhalb der Politik zur Abkühlung erhitzter Gemüter empfohlen. Und ist es nicht auch so, dass der gelernte Handelsmann Trump gerne einen „Deal“ macht? Was im Bereich des Kommerzes in der Regel bedeutet, dass beide Seiten einen Vorteil aus dem Deal ziehen, denn sonst würden sie ihn nicht eingehen.

Politische Realisten sind es auch, die darauf hinweisen, dass die USA als älteste Demokratie der Welt geprägt sei von den und eingeübt sei in die „Checks and Balances“, also der Limitierung der Macht durch Gewaltenteilung und der gegenseitigen Kontrolle von Verfassungsorganen. Da werde schon nichts anbrennen!

Also, sagen die politischen Realisten, reißt euch bitte zusammen und lebt mit der Tatsache, dass nun einer US-Präsident geworden ist, der so gar nicht nach eurem Geschmack ist. Die Welt wird nicht untergehen!

Mir dagegen scheint das ein Pfeifen im Keller zu sein. Denn die Wahl Trumps kann nicht losgelöst betrachtet werden von dem Pendelschlag hin zum Autokratischen, der sich gerade durch die Weltpolitik zieht. Zu offen sind Trumps Sympathien für Machtfiguren jenseits des demokratischen Spektrums, sofern sie nicht unmittelbar US-amerikanische Interessen gefährden. Zu offen sind seine Bestrebungen, das Maximum aus seinem Wahlsieg herauszuholen, indem er an seiner Partei und der Legislative vorbei Positionen mit treu ergebenen Unterstützern, unabhängig jedweder fachlichen Qualifikation, besetzt. Zu offen ist sein Wille, gewachsene nationale Institutionen zu schleifen und internationale Vereinbarungen aufzukündigen. Zu offen sind auch seine und die Drohungen seines Apparats in Richtung bisheriger Verbündeter der USA, wie zum Beispiel die seines designierten Vize-Präsidenten Vance, die USA würde aus der NATO austreten, sollte Europa weiterhin gegen die Plattform X des Trump-Unterstützers Musk vorgehen. Und zu offensichtlich ist auch, dass der von ihm vorangetriebene Isolationismus den autoritären und autokratischen Mächten der Welt Auftrieb geben wird. Wenn sich, auf europäischer Ebene, Leute wie Orban und Fico sowie die Exponenten der rechtsextremistischen Parteien die Hände reiben, ist das kein gutes Zeichen.

Donald Trump versprach seinen Landsleuten kurz nach der Wahl ein „goldenes Zeitalter“. Geschlossene Grenzen, Massen-Remigration illegaler Einwanderer und hohe Zollschranken sollen es bewirken. Er dürfte es schwer haben, dieses Versprechen einzuhalten, da der Weg in die Isolation zumindest für die Anfangszeit eine erhebliche finanzielle Belastung für die US-Bürgerinnen und -Bürger darstellen wird. Gravierender jedoch wird der Ausfall der USA bei der Verteidigung der Werte sein, die für das stehen, was wir gewohnt sind, den „Westen“ zu nennen. Das ist nicht weniger als die Verteidigung der offenen Gesellschaften mit all ihren zivilisatorischen Errungenschaften seit dem Ausgang des Zweiten Weltkriegs.

Hier, an diesem Punkt, ist die Wahl Donald Trumps jenseits aller wie auch immer berechtigten Vorschläge eines realpolitischen Umgangs mit ihm ein gewaltiges Momentum bei der Frage nach der Zeitenwende, die wir aktuell wahrnehmen.

Von überragender Bedeutung wird sein, wie sich Trump im Falle der Unterstützung der Ukraine positioniert. Die aktuellen Vorzeichen deuten darauf hin, dass er über die Köpfe der Europäer hinweg einen „Deal“ mit Putin anstrebt. Es ist schwer vorstellbar, dass ein solches Vorgehen im Rahmen eines realpolitischen Umgangs mit Trump mitgetragen werden kann.

Peter Conzelmann

  • Christina Herbert-Fischer

    15.11.2024, 17:55

    Die Autokratien sind in weiten Teilen der Welt auf dem Vormarsch. Was solche Parteien und Politiker anrichten, lässt sich nicht eben mal wieder zurecht biegen. Es wird zu einem langen steinigen Weg, das kann man in Polen sehen. Man könnte ja sagen, wenn die Amerikaner so blöd sind, selber Schuld. Aber erstens können wir uns da an die eigene Nase fassen, wenn man sieht, wie Deutschland wählt, zweitens sind die Folgen für Europa katastrophal. Ich hatte befürchtet, dass Trump es macht, die Zeichen standen dafür, schockierend ist es trotzdem. Danke für den Artikel, der mir in vielen Punkten aus der Seele spricht.

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