Nicht nur zum 1. Mai – eine Intervention
Zum 1. Mai, genauer am 5. Mai 2022, veröffentlichten wir – Ernst Köhler und Peter Conzelmann – gemeinsam einen Beitrag im Konstanzer Online-Magazin „Seemoz“. Der Beitrag erschien, etwas ungewöhnlich, als Kommentar zu einem Artikel mit dem Titel „Internationaler 1. Mai in Konstanz: GeMAInsam Zukunft gestalten“. Ungewöhnlich deswegen, weil unser Kommentar mit dem Inhalt des Artikels keine Berührung hatte. Denn dort wurde über die dem kalendarischen Anlass gemäßen Veranstaltungen der Gewerkschaften berichtet, erfreulicherweise grenzüberschreitend mit Vertreterinnen und Vertretern aus Südbaden und aus dem Thurgau.
Im Wesentlichen ging es im Seemoz-Artikel um Tarifpolitik in Verbindung mit der Bildung-Situation und der Lage der Beschäftigten der Sozial- und Erziehungsberufe. Keine „Geopolitik“ also, schon gar kein Verweis auf den Krieg, der kurz zuvor in dere Ukraine ausgebrochen war. Insofern war unser Kommentar eine Intervention in das festtägliche Geschehen und verursachte vermutlich bei einigen Leserinnen und Lesern Kopfschütteln.
Daher sei eingestanden, dass wir damals auf der Suche nach einer Plattform waren, auf welcher wir unseren Beitrag veröffentlichen konnten, ein Bedürfnis, nachdem der russische Machthaber seine Panzer auf Kiew hatte zurollen lassen. Die Macher von „Seemoz“ haben uns freundlicherweise zugesagt, dies in Form eines Kommentars tun zu können.
Doch aus diesem Bedürfnis einer Intervention wurde mehr, und so verabredeten wir, die beiden Autoren dieses Kommentars, zusammen mit weiteren Freundinnen und Freunden eine eigene Online-Plattform zu gründen: www.zeitenwende.online.
Wir veröffentlichen heute den Beitrag vom Mai 2022 auf unserer eigenen Plattform noch einmal. Inhaltlich hat er an seiner Dringlichkeit nichts verloren. Im Gegenteil: Dringlicher noch erscheint er uns, da sich inzwischen politische Kräfte in unserem Land rühren, die eine Appeasement-Politik gegenüber Putin in Koalitionsverträge einschreiben wollen. Zudem: Der Anruf des bisher schon zögerlichen Kanzlers bei Putin vom 15. November erbrachte – nichts. Außer einem weiteren Nachweis der Hilflosigkeit gegenüber der größten militärischen Aggression in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs.
Was jetzt zu erkennen ist: Die Ukraine wird sich Russland niemals unterwerfen. Russland wird die Ukraine niemals kontrollieren und beherrschen können. Strategisch hat Putin seinen Krieg daher schon verloren (US-amerikanische Beobachter).
Frieden ist etwas anderes als die Abwesenheit von Krieg. Frieden ist die Existenz in Freiheit und Sicherheit (Annalena Baerbock).
Dazu müssen die Russen das überfallene Land verlassen – das gesamte Land. Auch die annektierte Krim, auch die ebenfalls bereits 2014 besetzten und jetzt als „Staaten“ anerkannten Gebiete im Donbass. Alle diese völkerrechtswidrigen Teil-Invasionen sind ausnahmslos rückgängig zu machen.
Es sind Metastasen der totalitären Herrschaft und des Terrors im Staatskörper der Ukraine. Die das Land unweigerlich destabilisieren müssen und die seine autonome Entwicklung untergraben und zerfressen.
Mit Putin ist das alles undenkbar. Er hat jede Glaubwürdigkeit für immer verloren. Es gibt keinen Frieden mit Putin-Russland. Es gibt mit ihm kein Zurück in die Zeit vor dem Angriffskrieg, keinerlei realpolitisch erdachten Interessensausgleich, keine irgendwie geartete Partnerschaft mehr, keine „Diplomatie“ – etwa eine à la Macron oder Scholz. Putin kann nicht an der Macht bleiben (Joe Biden). Ohne Regimewechsel keine Wiederherstellung der europäischen Ordnung. Putin ist ein untragbarer Verbrecher und muss vor Gericht gestellt werden.
Bis dahin muss seine Diktatur mit entschlossener und umfassender Hilfe des Westens „geschwächt“ werden (der US-Verteidigungsminister). Das heißt: mit den erforderlichen Waffen militärisch bekämpft, politisch international ausgegrenzt und geächtet, wirtschaftlich ruiniert werden. Das ist nach der jüngsten Wende in der Strategie der USA auch kein bloßes Moralisieren, kein Wunschdenken mehr.
Wenn nicht mit den Deutschen, dann ohne sie. Die Deutschen können froh sein, dass man sie nach allem, was sie sich in den beiden letzten Jahrzehnten in ihrem Verhältnis zu Russland geleistet haben, überhaupt noch ernst nimmt und in die Front des Westens einbezieht. Man sollte hier auch nicht von „Naivität“ sprechen. Sondern von der zynischen Instrumentalisierung unserer historischen Schuld, von einem profitablen Appeasement, von skrupelloser Selbstsucht und vielleicht – das wird sich noch zeigen – von Korruption. Aber es geht auch ohne uns.
Ernst Köhler und Peter Conzelmann
Tim Köhler
16.11.2024, 22:00
schöner Text, nur leider gänzlich historisiert infolge der zweiten Trump-Wahl.
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