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Andreas Meyer

Es ist noch gar nicht so lange her, und doch, wer erinnert sich noch an den 2. Oktober? Empörungswellen schwappten uns in allen Medien entgegen: Antonio Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, wird es verwehrt, das „Gelobte Land“ zu betreten. Er wird für Israel zur persona non grata und wie immer kommt die Kritik an der Entscheidung Israels sofort und von überall. Wenige Tage später: Der bis dato so sehr in Schutz genommene Guterrez bekommt heftigen Gegenwind. Wladimir Putin, der russische Kriegstreiber, hat zum BRICS-Gipfel eingeladen. Ein Sammelsurium von Staatsund Regierungschefs unterschiedlichster Provenienz gibt sich ein Stelldichein in Kasan. Guterrez, der es nicht für notwendig erachtet hat, an der Friedenskonferenz teilzunehmen, die sich im Juni in der Schweiz mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt hat, ist mit dabei in Kasan. In Anbetracht der geopolitischen Krisen, sehe er darin eine Chance, den notwendigen Dialog nicht abreißen zu lassen. Dass gegen Putin ein internationaler Haftbefehl vorliegt, muss jetzt nicht Stein des Anstoßes sein, Schwamm drüber. Auf den Pfaden der Diplomatie gehören solch delikate Angelegenheiten zum täglichen Geschäft.

Diplomatische Zwänge sind das eine, die Art und Weise, wie sich der Chef der UNO Putin gegenüber verhalten hat, ist das andere.

So erklärte Richard Gowan von der NGO International Crisis Group im ZDF, dass ihn weniger der Handschlag gestört hätte, sondern „dass der erfahrene Diplomat seine Körpersprache nicht unter Kontrolle hatte“, gemeint ist die „leichte – fast schon unterwürfige – Verbeugung“. Er ist nicht der Einzige, der sich ein diplomatisch neutrales Auftreten gewünscht hätte. Fast könnte man zu dem Schluss kommen, Guterrez ist ein armer Mensch, denn niemandem kann er es recht machen: Nach Israel darf er nicht, zur Friedenskonferenz in der Schweiz will er nicht und zu Putins Tagung soll er nicht.

Was mich an der ganzen Sache am meisten irritiert, nein geärgert hat: dass die Vorwürfe, die er bzw. die UNO immer wieder gegen Israel vorbringt, bei dem Treffen mit Putin in Kasan so gar keine Rolle gespielt haben. Dabei ist es doch der russische Präsident, gegen den wegen genau dieser Vorwürfe ein Haftbefehl ausgestellt wurde: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (die Liste ist noch länger). Ich denke man kann hieran ganz gut sehen, dass die UNO sich in eine Sackgasse oder zumindest in eine prekäre Situation manövriert hat, und zwar in doppelter Hinsicht. Da ist einmal die Auseinandersetzung mit Israel, aber andererseits zeigen sich auch Schwierigkeiten grundsätzlicher Art.

Die heutigen Probleme, mit denen die UNO zu kämpfen hat, zeigen sich schon in den Webfehlern, die im Zusammenhang mit der Gründung stehen.

1945, also noch vor der Auflösung des Völkerbundes, wurde die UNO gegründet. Eine Organisation, die sich die internationale Zusammenarbeit der Staatengemeinschaft auf die Fahnen geschrieben hatte, mit dem Ziel, Frieden und Sicherheit zu gewährleisten.

Weltweit waren nach dem Zweiten Weltkrieg große Hoffnungen mit der Gründung der UNO verbunden, so dass die Zahl der Mitgliedsstaaten schnell größer wurde. Sie galt als der Fels in der immer noch gefährlichen Brandung; denn wie sicher oder wie zerbrechlich dieser Frieden war, das vermochte damals noch niemand vorherzusagen. Und gerade deshalb war die UNO von so zentraler Bedeutung, man wollte sie als neuen Garanten für das, was heute „Peacekeeping“ genannt wird.

Waren die Schwachstellen, welche sich in den Strukturen der UNO und ihrer Unter- oder Teilstrukturen verbargen, damals nicht erkennbar oder wollte man das vielleicht auch Gar nicht. Vor allem waren sie das Ergebnis der politischen (auch militärischen) Machtverhältnisse am Ende des Zweiten Weltkrieges. Dies deutlich macht die Gründung der UN-Vollversammlung und des Sicherheitsrates: Die Staaten, die als „Gewinner“ aus dem Krieg hervorgingen, also die USA, Russland Frankreich, Großbritannien und China, nahmen für sich in Anspruch, als „Ständige Mitglieder“ des Sicherheitsrates ein Vetorecht zu haben. „Die Mitglieder der Generalversammlung der UNO übertragen dem UN-Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der Internationalen Sicherheit und erkennen an, dass der UN-Sicherheitsrat bei der Wahrnehmung der sich aus dieser Verantwortung ergebenden Pflichten in ihrem Namen handelt.“ Und ja, es handelt sich hier nicht um einen Auszug aus dem Inaugurationsakt für einen spätmittelalterlichen König.

Dies ist auch heute, beinahe achtzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, noch so. Die Vorschläge für eine Reform des Vetorechts scheitern, wie nicht weiters verwunderlich, an den Staaten, die dieses Vetorecht für sich in Anspruch nehmen können. So bleibt der Sicherheitsrat ein Verbund von Potentaten, die sich, den Vorteilen ihrer Position bewusst, für eine Veränderung der Strukturen nicht interessieren und die UNO-Vollversammlung so zum Papiertiger machen. Die wirtschaftlichen und geopolitischen Abhängigkeitsverhältnisse vieler Staaten verstärken diese Schieflage. So ist es auch nicht verwunderlich, dass viele Mitglieder der UNO vor allem darum bemüht sind, in den Versammlungen und Konferenzen für ihre eigenen Interessen zu kämpfen. Die nun seit langer Zeit gewachsenen Strukturen führen zur Zementierung von Machtverhältnissen, die vor Jahrzehnten fixiert wurden, führen zu einem immer stärker egobehafteten Club, der nur noch wenig bewegen kann.

Die Schwachstellen der UNO sind kein Geheimnis, Wikipedia listet auf: Wenig effizient, sowohl bei präventiven Maßnahmen wie auch bei der Deeskalation von Konflikten, Beschwichtigungspolitik, geheime Absprachen, Antisemitismus, sexueller Missbrauch um nur die wichtigsten zu nennen. All dieses, vor allem aber die katastrophalen Verfehlungen, die während der Blauhelmeinsätze (Schutztruppen der Vereinten Nationen) stattgefunden haben, sorgen häufig für Entsetzen.

Im Zentrum der Blauhelmeinätze sollte eigentlich der Schutz der Zivilbevölkerung in den betroffenen Gebieten stehen. Doch viel zu oft können die UNO-Einsätze diesen Schutz nicht gewährleisten. Einer der größten Missstände: die sexuelle Ausbeutung und der sexuelle Missbrauch – die hier gewählte Formulierung ist mehr als verharmlosend. Erinnert sei an einige der desillusionierendsten Beispiele:

Das völlige Versagen in Ruanda (1994), bei dem die Blauhelmtruppen dem Völkermord, dem 800 000 bis 1Million Menschen zum Opfer fielen, tatenlos zuschauten, zuschauen mussten, da sie gänzlich im Stich gelassen wurden von den Funktionsträgern der UNO. „Der angekündigte Völkermord“, titelten später die Medien (z.B. SZ und Spiegel), denn es gab frühzeitig Warnungen und die Blauhelme hätte noch eingreifen können. Doch aus der UN-Zentrale in New York kam die Anweisung, die Füße still zu halten. Und auch während der Kämpfe, besser ist es von einem Massaker zu sprechen, das die Hutus an den Tutsis verübten, als der Blauhelm-General Dallaire noch einmal versuchte, in der UNO grünes Licht zu bekommen, um den Tutsis zu Hilfe kommen zu können, wurde ihm dies verwehrt. Kofi Annan, der damalige Untergeneralsekretär für UNO-Friedenseinsätze (soviel Zeit muss sein), verbot Dallaire, Partei zu ergreifen. Das UN-Mandat verpflichte ihn zu strikter Neutralität, so zu lesen in der SZ vom 6. April 2014. Ach ja, Kofi Annan, der diese verheerende Anweisung gab, wurde dann, wenig später, zum nächsten UN-Generalsekretär“ befördert“.

1995, gerade ein Jahr später, gab es in Ex-Jugoslawien den nächsten Blauhelmeinsatz. Das Massaker von Srebrenica war ein trauriger Höhepunkt, mit dem das Versagen? die Hilflosigkeit? der UNO und ihrer Einsatzkräfte allen auf schreckliche Weise vor Augen geführt wurde.

Am 12. März 1993 versprach der Vier-Sterne-General Philippe Morillon (Kommandeur der UN-Schutztruppe in Bosnien UNPROFOR) den Einwohnern Srebrenicas öffentlich, die UNO werde die Stadt nicht im Stich lassen. Und es wurden auch im April und Juni 1993 tausende Bosniaken aus Srebrenica evakuiert.

Zwei Jahre später verüben serbische Einheiten in Srebrenica das (bis dahin) schlimmste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Und wieder spielt sich vor den Augen der Blauhelmtruppen ein genozidales Verbrechen ab, bei dem die UN-Soldaten zum Zuschauen verurteilt sind. Gründe dafür gibt es mehrere. Ein robustes Mandat für die UN-Schutztruppe wird durch den Sicherheitsrat verhindert. Im Laufe der Auseinandersetzungen werden UN-Soldaten von serbischen Einheiten als Geiseln genommen, was zu einem gezwungenermaßen vorsichtigeren/passiveren Handeln der Blauhelme führen musste. Und nicht zuletzt spielten finanzielle Überlegungen auch eine Rolle. Die Soldaten sollten zwar Frieden schaffen, aber mit immer weniger Waffen. So waren sie militärisch unterlegen und, schlimmer noch, sie hatten auch kein Mandat, das ihnen erlaubt hätte, aktiv einzugreifen und zum Schutz von Zivilisten, Gewalt anzuwenden. Um es mit Zahlen zu veranschaulichen: Der damalige Generalsekretär der UN, Boutros-Boutros-Ghali hatte 34000 UN-Soldaten angefordert, um die Schutzzonen sichern zu können. Der Sicherheitsrat bewilligte gerade mal 7600. Die niederländischen Blauhelme, deren Aufgabe es sein sollte, die Enklave Srebrenica vor Übergriffen der serbischen Militäreinheiten zu schützen, mussten ohnmächtig mitansehen, wie 8000 Männer und Jungs (muslimische Bosniaken) aussortiert und abtransportiert wurden.

Für „genocide alert“, eine deutsche Menschenrechtsorganisation, bleibt das Versagen in Srebrenica das „Mahnmal des Scheiterns der Vereinten Nationen und der internationalen Gemeinschaft“.

Hat man daraus gelernt? Positiv ist, dass seit 1999 circa 90% der Peacekeepingmissionen ein Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung haben. Doch mangelnde Ausrüstung, zu kleine Truppenkontingente, aber auch unterschiedliche Regelauslegungen durch die Staaten, welche Personal für die Einsätze stellen, sind geblieben. Doch letztlich hat sich die Situation weiter verschlechtert. Und dies liegt weniger an der UNO als Organisation, sondern an den Missständen während der Einsätze, die immer wieder aufgedeckt werden. Der sexuelle Missbrauch durch UN-Soldaten fällt längst nicht mehr unter die Rubrik Einzelfälle. Betroffen sind vor allem Einsätze in afrikanischen Staaten. Es geht um Vergewaltigungen, aber auch um Sex als Gegenleistung etwa für Nahrungsmittel. Die Zivilisten stellen sich unter peacekeeping sicher etwas anderes vor.

Korruption und Misswirtschaft im Irak, Sex und Waffenhandel im Kongo, hier waren Mitarbeiter des Welternährungsprogramms involviert usw. Schlimmer als die schon geschilderten strukturellen Schwachstellen ist der nicht zu unterschätzende Vertrauensverlust für die UNO. Inzwischen erkennen auch die Funktionäre der UNO die Gefahren, die eine schwindende Reputation mit sich bringt.

Die UNO und Israel

Eine sehr spezielle Beziehung besteht zwischen der UNO und Israel (in meinem blog-Beitrag „Linker Antisemitismus vom 7. 10. lassen sich in dem Kapitel „Die UNO und ihr Lieblingsgegner“ weitere Informationen zu diesem Thema finden).

Ich vermute, wenn man Israelis fragt, womit sie zufrieden sind, wenn sie an die Zusammenarbeit von UNO und Israel denken, fällt ihnen nichts ein, oder nach längerem Nachdenken der Teilungsplan vom November 1947, der zur Gründung des Staates Israel führte. Danach wird man meines Wissens keinen UN-Beschluss mehr finden, der die Interessen Israels berücksichtigt.

Eine Reihe von Beschlüssen und Entscheidungen der UNO seit der Staatsgründung soll dies veranschaulichen.

1947 akzeptiert die UNO Mohammed Amin al Hussainis Ernennung zum Vorsitzenden des AHC (Arabisches Hohes Komitee). Dieser war der ehemalige Mufti von Jerusalem. Er forderte schon 1937 die von den Briten eingesetzte Peel-Kommission (sie sollte eine Lösung für den drohenden Konflikt zwischen Juden und Arabern in Palästina erarbeiten) dazu auf, 80% der Juden auszuweisen – mir ist allerdings nicht klar, wohin. Al-Hussaini war eine schillernde Figur: Er traf sich mit Adolf Hitler und anderen Nazigrößen, er besichtigte Vernichtungslager in Osteuropa und er vertrat offen Genozidforderungen. Er sah sich als Mitstreiter, als Verbündeter Hitlers und schlug ihm einen (neudeutsch) Deal vor: Hitler vernichtet die Juden, so dass diese nicht mehr in den Nahen Osten ausreisen können und Al-Hussaini kämpft im Gegenzug gegen die Briten.

All dies ist für die UNO nicht von Belang, mit seiner Ernennung zum AHC-Vorsitzenden macht die UNO ihn zum Vertreter aller Araber Palästinas.

1948 sichert eine UNO-Resolution den Palästinensern ein „Recht auf Rückkehr“ zu. Israel hat dies immer zurückgewiesen. Begründung: Der Sicherheitsrat hat nie darüber abgestimmt und die Palästinenser selbst haben damals die Resolution abgelehnt. Rein juristisch handelt es sich also um eine Empfehlung, die rechtlich nicht bindend ist. Heute beanspruchen die Palästinenser dieses Rückkehrrecht, auch in der dritten oder vierten Generation (was in der Welt ohnegleichen wäre). Deutlich wird der Charakter der Empfehlung auch daran, dass es in der Resolution zahlreiche weitere Paragrafen gab, die zur Lösung der Flüchtlingsproblematik eine ganze Reihe weiterer Empfehlungen aussprachen: die Aufforderung zur Einbürgerung, die Umsiedlung und Integration der Flüchtlinge in andere(n) arab. Staaten. Ausführlich wird dies im „mena-watch-lexikon“ (mena-watch ist ein österreichischer Nahost-Thinktank) herausgearbeitet, wie auch der Hinweis auf den ägyptischen Außenminister, der im Jahr 1949 die Problematik wie folgt erläuterte: „Wenn die Araber die Rückkehr der Flüchtlinge nach Palästina fordern, dann meinen sie, dass sie als Beherrscher des Heimatlandes zurückkommen, nicht als Sklaven. Um es noch deutlicher zu sagen, sie wollen den Staat Israel vernichten.“ Eine Klarstellung von Seite der UNO wäre in vielerlei Hinsicht hilfreich gewesen, ist aber bis heute ausgeblieben. Die Realitäten in der UNO würden dies auch ausschließen.

Um nicht gar so weit in der Historie zurückzugreifen:

1975 definierte die Vollversammlung der Vereinten Nationen den Zionismus als „Form von Rassismus“. Für den damaligen Ständigen israelischen Vertreter bei den Vereinten Nationen Michael Herzog war dies „der erste große internationale antisemitische Angriff seit den Tagen von Hitler.“ Zwar wurde diese „Formel“ 1991 revidiert, aber schon 2001 in Südafrika (Durban) wurde der „Zionismus-ist-Rassismus-Resolution“ erneut Geltung verschafft. „Conference against Racism, Racial Discrimination, Xenophobia and Related Intolerance”, so lautete der offizielle Titel dieser Veranstaltungen. Und bis ins Jahr 2011 gab es eine Reihe von Folgekonferenzen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen.

Ach ja, Vorbereitungskonferenzen gab es natürlich auch. Die erste fand im Iran statt, schon damals hatte der Staat der Mullahs die „Vernichtung des Staates Israel als Staatsraison“ auf seine Fahnen geschrieben. Der österreichische Nahost-Thinktank hat sich mit dem Thema ausführlich beschäftigt und kommt zu dem Ergebnis, dass „die Konferenz in Durban zu einer Propagandawaffe gegen Israel umfunktionier(t)“ wurde. Deshalb wurde Israel und Staaten, die man als israelfreundlich einstufte, wie Australien oder Neuseeland, die Teilnahme an der Vorbereitungskonferenz erst gar nicht gestattet. „Das UN-Mitglied Israel und seine Unterstützer blieben“, so mena-watch, „von der Vorbereitung der „Weltkonferenz gegen Rassismus“ ausgeschlossen, weil die vom Hass auf den jüdischen Staat getriebene Haltung des iranischen Regimes von den Vereinten Nationen stillschweigend akzeptiert wurde.“

Letztlich war dies nur ein weiterer Schritt, in einer seit der Staatsgründung Israels andauernden Konfrontation zwischen der UNO und Israel, geprägt von Spannungen und Zerwürfnissen, oder netter formuliert, von Differenzen und Meinungsverschiedenheiten. Innerhalb weniger Jahre gab es 140 gegen Israel gerichtete Resolutionen, d.h. mehr als doppelt so viele wie gegen alle anderen Länder zusammengenommen. Auf eine weitere dieser antisemitischen Pirouetten hat die „Jüdische Allgemeine Zeitung (Sept. 23) hingewiesen, als sie titelte: „Skandal bei der UN-Generalversammlung: Sicherheitspersonal nimmt israelischen Botschafter kurzzeitig fest.“

Was war passiert? Was hat er gemacht? – Der Botschafter hatte während einer Rede des Iranischen Präsidenten Raisi das Bild einer iranischen Frau hochgehalten, die von der „Sittenpolizei“ ermordet wurde. Die Art, wie sie ihren Hidschab getragen hatte, stieß auf Missfallen. Beim Verlassen des Gebäudes wurde der israelische Botschafter Gilad Erdan von der UN-Polizei (ja, die gibt’s auch) verhaftet. Nicht lange; vermutlich war niemandem ein haltbarer Grund für die Verhaftung eingefallen.

Ist es beschämend? Ist es widerlich?

Die NZZ (17. Okt.) sieht „in den Strukturen der UNO die Parteilichkeit längst tief verankert.“ Besorgniserregend ist eben genau dieses Gestrüpp von verschiedenen Abteilungen, Kommissionen etc. (Ruft man bei Wikipedia die Seite der „Deutschen Gesel schaft für die Vereinten Nationen“ auf und sucht mit dem Stichwort: Gliederung, dann tun sich mehr als dreißig Seiten auf!) Unterorganisationen, Abteilungen mit Sonderaufgaben. Wo welche Befugnisse, Kompetenzen verankert sind; es erschließt sich nicht wirklich.

Schnell finden lässt sich aber die antiisraelische Positionierung. Da wäre beispielsweise der UN-Menschenrechtsrat und seine „Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete Palästinas“ Francesca Albanese. Einen Tag nach dem iranischen Angriff auf Israel meldete sich Albanese zu Wort. „Ich hoffe aufrichtig, dass die militärische Antwort des Irans auf Israels Bombardierung der iranischen Botschaft in Syrien nicht zu einem ausgewachsenen Krieg eskaliert. Gleichzeitig rufe ich alle auf, sich weiterhin für ein Ende des israelischen Völkermords im Gazastreifen und der brutalen Gewalt im Gazastreifen einzusetzen.“ Die Völkermordvorwürfe gegen Israel gehören bei Albanese sozusagen zum Alltag.

UN Women wurde 2010 als eine weitere Unterorganisation der UNO gegründet. Ihr Engagement gilt der Gleichstellung der Geschlechter, dem Kampf für Frauen und für die Beendigung der Gewalt gegen Frauen. Die Organisation erlangte inzwischen traurige Berühmtheit, da sie viel zu lange die sexualisierte Gewalt und die Grausamkeit der Hamas gegenüber (nicht nur) Frauen beschwiegen hat, anfangs sogar Zweifel daran geäußert hat.

Im Mittelpunkt der Kritik stand in den letzten Wochen und Monaten immer wieder das UNRWA, das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten. Heftige Vorwürfe kommen von Hillel Neuer, dem Executive Director der Menschenrechtsorganisation UN Watch. Er wirft der UNO ein „komplettes Versagen“ für die Zeit nach dem 7. Oktober vor und seine Kritik ist dabei stark auf das Palästinenser-Hilfswerk UNRWA fokussiert. Er geht davon aus, dass die Verbindungen von Mitarbeitern des UNRWA zur Hamas schon lange vor dem 7. Oktober bekannt waren.

Laut UN Watch waren beispielsweise 3000 Lehrer von UNWA Teil einer Telegram-Gruppe in der das von der Hamas am 7. Oktober verübte Massaker gefeiert wurde – und zwar schon wenige Minuten, nachdem es begann. Schlimmer noch, der Chatraum, der als Teil der Unterstützung für die Lehrer gedacht war, wurde genutzt, um Fotos der Getöteten zu teilen. Die „Erzieher“ vergnügten sich an den Vergewaltigungen und nutzten die neuen Chatmöglichkeiten für entsprechende Kommentare. Bevor ich es vergesse, der UNRWA-homepage ist zu entnehmen: „Die Arbeit des Hilfswerks ist in Übereinstimmung mit internationalen Prinzipien der humanitären Hilfe den Werten Neutralität, Unparteilichkeit und Menschlichkeit verpflichtet.“ Die israelischen Behörden haben die UNO darüber informiert, dass UNRWA-Mitglieder wohl in unterschiedlicher Art und Weise mit der Hamas kooperieren, auch die entsprechenden Listen übermittelt. Etwas selbstherrlich, man könnte auch sagen großkotzig, meldete sich dann die UNO zu Wort und erklärte, dass lediglich zu sieben Mitarbeitern beweiskräftige Informationen dabei gewesen wären -denen auch schon die Verträge gekündigt worden wären.

Kleine Nachfrage: Was ist jetzt mit Mitarbeitern, zu denen es Material gibt, welches aber von der UNO als nicht beweiskräftig angesehen wird?

Und kleine Anmerkung: Wäre es eigentlich nicht die Aufgabe des Arbeitgebers, also der UNO, ihre Mitarbeiter zu überprüfen, um sicherzustellen, dass die Mitarbeiter kein Sicherheitsrisiko darstellen?

Da die UNO hierzu nicht willens oder in der Lage ist, hat sich Israel nun dazu entschlossen, der UNRWA die Arbeit in Gaza zu verbieten. Die Empörung allerorten war groß. Was fast überall verschwiegen wurde: Das Verbot soll erst in drei Monaten in Kraft treten. Israel will anderen Hilfsorganisationen die Möglichkeit geben, in Gaza tätig zu werden, und es soll genug Zeit zur Verfügung stehen, die humanitäre Versorgung durch andere Organisationen zu bewerkstelligen. Für Israel kommen dabei auch Organisationen der UNO in Frage wie beispielsweise das UNHCR, das bei der UNO für alle anderen Flüchtlingsfragen zuständig ist.

Dies muss jetzt nicht jeder für einen tollen twist ansehen. Aber es zeigt, dass es Israel nicht um einen Affront gegen die Zivilisten in Gaza geht, sondern konkret um den Konflikt mit UNRWA.

Was nach all den aufgelaufenen Schwierigkeiten nicht wirklich überraschend ist.

 

Der neueste Streit ist um UNIFIL, die UNO-Friedenstruppen im Libanon entbrannt. Dabei handelt es sich ursprünglich um eine Beobachtermission, die schon 1978 von der UNO in den Libanon geschickt wurde. Als es 2006 im Libanonkrieg zwischen der Hisbollah und Israel zu einem Waffenstillstand kam, sollte dieser durch Friedenstruppen der Vereinten Nationen gesichert werden. Sie wurden also auf 15000 Soldaten aufgestockt. Gleichzeitig sollte die Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates den Frieden sichern.

Darin vorgesehen war: der Rückzug der israelischen Truppen aus dem südlichen Libanon, das Verbot der Bewaffnung für alle Gruppen im Libanon (Adressat war natürlich die Hisbollah), ausgenommen die libanesische Armee, dazu sollten nur noch libanesische – und UNIFIL-Truppen Kontrollbefugnisse innehaben und es wurde eine entmilitarisierte Zone festgelegt (die Grenze bildet der Fluss Litani).

Den Forderungen nachgekommen ist lediglich Israel, das alle Truppen aus dem südlichen Libanon zurückgezogen hatte. Die Hisbollah-Milizen kümmern sich seit inzwischen 18! Jahren um diese Festlegungen – nicht.

UNIFIL, wie gesagt ja lediglich mit dem Mandat einer Beobachtermission ausgestattet, hatte auch nie wirklich eine Handhabe, daran etwas zu ändern. Doch auch das „Beobachten“ gelang eher nicht. Im Gegenteil: In unmittelbarer Nähe der UNIFIL-Standorte wurden umfangreiche Tunnelsysteme der Hisbollah entdeckt. Von den Israelis gefangen genommene Hisbollahkämpfer gaben an, es würde UNIFIL-Personal bezahlt, damit sie den Hisbollahmilizen die UNIFIL-Überwachungskameras für deren eigene Zwecke überlassen. Wie belastbar die Informationen sind, lässt sich schwer sagen. Mit Sicherheit jedoch werden UNIFIL-Soldaten als Schutzschilde missbraucht. Ihre Aufgabe hat die UN-Truppe in keinster Weise erfüllen können. 18 Jahre lang war sie nicht in der Lage, die Resolution durchzusetzen. Im Gegenteil, unter ihren Augen, (oder vielleicht nicht einmal das) schuf die Hisbollah ein Tunnelsystem, welches die Dimensionen der Anlagen in Gaza noch übertrifft. Shimon Stein, der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, konstatiert: „Für mich ist der UNIFIL-Einsatz ein Versagen ersten Ranges. Irgendjemand muss die Verantwortung tragen.“ Da wird sich niemand melden. Das mit der Verantwortung war schon immer so eine Sache bei der UNO.

Man könnte ja einmal den Libanoneinsatz gedanklich etwas zuspitzen. Ist es möglicherweise so, dass wenn Israel die UN-Resolution weiterhin befolgt hätte und gleichzeitig die UN-Truppen, also die Beobachter, weiterhin nichts beobachtet hätten und deshalb die Hisbollah weiterhin ihre Vernichtungsvorbereitungen hätte vorantreiben können – Ist es nicht so, dass das Versagen auf Seite der UN die existenzielle Vernichtung Israels zur Folge hätte haben können oder zumindest eine existenzielle Gefährdung Israels im Raum gestanden hätt?

Heute (19. Nov.) titelt Susanne Knaul in der taz: „Auswege aus dem Libanon – Zurück zur UN-Resolution 1701!“ Ihrer Ansicht nach sollte der Krieg (im Südlibanon) besser heute als morgen ein Ende haben. „Zur Debatte steht die Rückkehr zur UN-Resolution 1701 aus dem Jahr 2006.“ Die Analyse der Situation im Libanon endet mit der Forderung, „Letztendlich geht es darum, den Kriegstreibern in Teheran den militärischen Boden im Libanon zu entziehen. Iran und seine Handlanger, die Hisbollah sind Israels Feinde, nicht der Libanon oder die Regierung in Beirut.“

Oder anders formuliert: Israel hat, und hatte nie, ein Interesse, den Libanon oder seine Bevölkerung zu bekämpfen, sondern die Gefährdung der Sicherheit Israels durch die Hisbollah zu beenden.

Schade nur, dass die UNO 18 Jahre lang weder für die Sicherheitslage der Libanesen, noch für die der Israelis ein ernsthaftes Interesse gezeigt hat.

 Resümee

Verfolgt man den Weg der UNO über all die Jahre hinweg, dann ist man doch gehörig desillusioniert: Das Projekt, das als es am Start war, für viele mit solch großer Hoffnung verbunden war, da sie darin die Chance sahen, die Welt sicherer zu machen, dieses Projekt ist ziemlich vom Kurs abgekommen.

War und ist die UNO zu statisch, zu unflexibel? Sind die Strukturen nicht veränderbar? Oder ist es doch der abhanden gekommene moralische Kompass, der dazu führt, dass von den anfangs noch für wichtig gehaltenen Werten kaum etwas übriggeblieben ist. Natürlich wird auch in der UNO interessengeleitete Politik betrieben und so ist es dann auch nicht verwunderlich, wenn sich einzelne Staaten die richtigen Verbündeten suchen.

Und da sind wir dann bei einem Punkt, der uns (oder zumindest mir) lange Zeit zu wenig aufgefallen ist: dass nämlich der Antisemitismus sich in weiten Teilen der Welt stärker festgesetzt hat, als bisher angenommen, was seinen Niederschlag auch in der UNO findet.

Als der PLO-Chef Arafat 1974 vor der UNVollversammlung auftrat, ausgestattet mit Sonnenbrille, Kufiya und umgeschnallten Pistolengürtel, fanden wir das cool – oh, ein Freischärler, ein Freiheitskämpfer, wie er sich selbst bezeichnete, endlich mal frischer Wind im Haus, und er wurde auch mit freundlichem Applaus verabschiedet. Aber es war nicht cool, der Mann, der zwei Jahre vorher maßgeblich für das Massaker in München verantwortlich war, bei dem elf israelische Olympiateilnehmer ermordet wurden, war nicht cool. Ja, lässig in seinem Military-look stellte er sich zu seiner ersten Rede vor der UNO vor. Er forderte die Auflösung des Staates Israel. Kleine Korrektur: Wie der Spiegel damals berichtete, wurde Arafat mit „tosendem Beifall“ verabschiedet. Und so war auch niemand mehr irritiert, als ein Jahr später Idi Amin, Ugandas Diktator und Menschenschlächter in der UN-Vollversammlung den Ausschluss Israels forderte, und die „Auslöschung“ Israels als Staat. Ach ja, auch er wurde mit Beifall verabschiedet. Der kurze Abriss zeigt, der Wind hat sich in den Gremien der UNO schon früh gedreht. Die antisemitischen Duftmarken wurden schon früh gesetzt. Israel wurde zum bad guy der Antidemokraten. Dass die meisten von uns darüber hinweggesehen haben, kann uns nicht mit Stolz erfüllen. Aber vielleicht sollten wir die antisemitischen Attitüden, die zu häufig in der UNO ihren Platz finden, ernster nehmen.

Es ist jetzt nicht so, dass ich mit Bibi Netanjahu meinen Urlaub verbringen wollte, aber wenn er die UNO als „Sumpf aus antisemitischer Galle“ abkanzelt, kann ich es ihm nicht verdenken.

Während ich heute (es ist der 21. November) an den letzten Punkten des Textes gearbeitet habe, rattern die neuesten Nachrichten durch die Medien: Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshof Karim Khan hat Haftbefehle gegen Benjamin Netanjahu und seinen früheren Verteidigungsminister Gallant erlassen, auch gegen den Militärchef der Hamas, Mohammed Deif. – Aber der ist wahrscheinlich schon lange tot.

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