Rückkehr zur Normalität?
Nicht nur für die aktuell lebenden, nein auch für kommende Generationen häufen sich derzeit die apokalyptischen Vorhersagen. Soll heißen: auch die Menschheit könnte bald schon zu den gefährdeten Arten zählen und hätte somit den Rückgang der Biodiversität nicht nur verschuldet, sondern könnte diesem womöglich selbst zum Opfer fallen.
Aber während immer weniger auf die Stimmen derer gehört wird, die Klimawandel, Ressourcenverschwendung und Umweltzerstörung für diese Entwicklung verantwortlich machen, hat die atomare Bedrohung aufgeholt und ist derzeit im öffentlichen Diskurs wieder die Nummer 1 unter den potentiellen Ursachen für einen globalen Exodus.
Kein Grund, sich in Sarkasmus zu flüchten, ich weiß. Schließlich geht es um nichts weniger als unsere Existenz und wer, wie ich, schon den größten Teil seines Lebens in Frieden, Freiheit und Wohlstand verbringen durfte, sollte sich nicht darüber mokieren, dass mit solchen Lebensläufen bald schon Schluss sein könnte.
Was ich mich aber wirklich frage: warum scheint die atomare Bedrohung derzeit so viel fassbarer, realer und furchterregender für uns zu sein als der (sich bereits abzeichnende) ökologische Supergau?
Dabei liegt es doch auf der Hand: für Putin kann die Atombombe nur als Drohung Vorteile bringen. Sollte er tatsächlich ihren Einsatz veranlassen, würde das, auch für ihn, nur Nachteile nach sich ziehen. Nicht nur wegen des militärischen Gegenschlags, der dann zu erwarten wäre, Indien und China würden das außerdem zum Anlass nehmen, Russland jede weitere militärische und wirtschaftliche Unterstützung zu entziehen. Und das wird Putin tunlichst zu vermeiden wissen.
Aber das setze ja voraus, dass er in der Lage sei, rationale Entscheidungen zu treffen, wird mir da meist entgegengehalten. Das sei jedoch nicht der Fall, Putin sei ja bekanntlich getrieben und unberechenbar. Auf mich wirkt dieses Argument, als müsse man den russischen Präsidenten mit der allergrößten Vorsicht behandeln, weil dieser sonst, wie unter Verrückten üblich, zu allem fähig sei.
Ich halte dagegen, dass Putin alles andere als wahnsinnig ist (- den Größenwahn einmal ausgenommen, der ihn die Ukraine hat überfallen lassen). Er ist, ganz im Gegenteil, ein eiskalter und berechnender Stratege, was sich auch darin zeigt, wie er mit uns, dem Westen, spielt. Die Angst vor dem Atomkrieg dient ihm dabei als Waffe, mit der er uns in Schach hält; in diesem Spiel gibt Putin sehr gekonnt die Katze und wir – gleichfalls gekonnt – die Maus.
Während die atomare Bedrohung also vor allem eine atomare Drohung ist, sprich ein Schreckgespenst, das uns lähmen soll, handelt es sich bei Klimawandel und Naturzerstörung um einen längst im Gang befindlichen, realen Prozess, den zu stoppen wir uns nicht entschließen können. Warum? Haben wir uns etwa schon aufgegeben?
Wahrscheinlich steckt tatsächlich viel an Resignation in unserer Tatenlosigkeit. Aber noch etwas anderes ist darin enthalten, nämlich das standhafte Beharren auf einem materiellen Fortschrittsglauben, dem unsere Zivilisation seit knapp 200 Jahre anhängt und der uns nach 1945 eine bis dahin unvorstellbare Luxusvermehrung beschert hat. Heute müssen wir einsehen, dass die für uns alternativlos geworden ist.
Und so ist Ende November auch die Weltklimakonferenz in Aserbeidschan wieder mit einer Enttäuschung zu Ende gegangen, wieder konnten sich die teilnehmenden Länder nicht auf die dringend notwendigen Co2 Senkungen einigen. Auf der Seite des globalen Nordens, also der Industrieländer, gab es wie immer große Verlustängste, die Länder des globalen Südens dagegen wollten sich nicht vorschreiben lassen (- und schon gar nicht von denen, auf deren Konto die Klimakatastrophe ja geht !-), welchen Entwicklungsweg sie zu nehmen haben.
Uns alle treibt schließlich die Angst vor dem Verzicht um. Denn der von uns praktizierte bzw. angestrebte Lebensstil ist mit ökologischen Zielsetzungen leider ganz und gar nicht zu vereinbaren.
Wie die Politik in Deutschland dieses Dilemma zu lösen beabsichtigt, kann man im Wahlprogramm von CDU/CSU nachlesen. Darin will die Union nach eigenen Worten „ein neues Wohlstandversprechen“ geben. Und zwar mit einem Wohlfühlprogramm, das unter anderem Steuersenkungen vorsieht, wie die folgenden Beispiele zeigen:
Die Unternehmensbesteuerung soll gesenkt, der Soli vollständig abgeschafft werden, die Mehrwertsteuer in der Gastronomie soll auf sieben Prozent sinken, der Spitzensteuersatz erst später greifen und die Agrardieselrückvergütung für Landwirt*innen wieder vollständig eingeführt werden. Eine Vermögenssteuer wird abgelehnt; überhaupt ist in dem Programm nicht die Rede davon, wie die großkotzig als “Politikwechsel” überschriebenen Vorhaben finanziert werden sollen.
Die großen Krisen der Zeit streift das Papier nur am Rande. In Bezug auf das Klima stehen folgende Ankündigungen im Raum: an der Kernenergie als Option will die Union festhalten und die bereits erfolgte Abschaltung der Kernkraftwerke einer erneuten Prüfung unterziehen, das Heizungsgesetz der Ampel soll wieder abgeschafft, das Verbrennerverbot rückgängig gemacht, die Abgaben für die Luftfahrt sollen gesenkt werden. Alles in allem ist dieser angebliche Schritt in die Zukunft also eindeutig ein Schritt zurück.
Worum es wirklich geht, ist somit kein neues, sondern ein altes Wohlstandsversprechen. Das Leben bei uns soll möglichst wieder so werden wie es vor all den Krisen war, die wir in den letzten Jahren auszuhalten hatten. Rückkehr zur Normalität, das ist die Devise. Dass diese “Normalität” ausgedient hat (ausgedient haben muss!) wird – trotz eines (Lippen) Bekenntnisses zum Pariser Klimaabkommen – schlichtweg ignoriert.
Versprochen wird das, was sich verunsicherte Wähler*innen wünschen und nicht das, was der Politik durch die Realität abverlangt wird. Statt endlich zu akzeptieren, dass unser Wohlstands- und Selbstverwirklichungskonzept uns an den Rand der Selbsterhaltung gebracht hat, soll nochmal nachgelegt werden. Dabei wäre es wirklich mehr als an der der Zeit, ein neues Bild davon zu entwerfen, wie ein gutes Leben zukünftig aussehen könnte. Ein gutes Leben, zu dem alle Zugang haben und das auch der uns umgebenden Natur ein Existenzrecht zugesteht.
Vor fast 15 Jahren ist Thilo Sarrazins Buch “Deutschland schafft sich ab” erschienen. Trotz seiner manipulativen Wahrheitsbehauptung und seinen rassistischen, spalterischen Thesen hatte es durchschlagenden Erfolg und ist in Deutschland zum meistgelesenen Buch seit dem zweiten Weltkrieg geworden.
Das Buch “Die Menschheit schafft sich ab” hat noch niemand geschrieben. Und doch käme schon der Titel der Wahrheit so viel näher, als das der Titel von Sarrazins Machwerk tut. Statt, wie dort, die Gesellschaft hierarchisch aufzugliedern und zu spalten, würde uns dieses Buch womöglich die Erkenntnis liefern, dass wir als Menschheit wirklich alle in ein und demselben Boot sitzen, und dass wir deshalb unsere Kräfte bündeln müssen, wenn wir überleben wollen.
Die Bedrohung durch Atomwaffen ist eine globale Bedrohung. Ebenso wie die, die von Klimawandel und Umweltzerstörung ausgeht. Aber während erstere dazu dient, andere zu dominieren und sie zu kontrollieren, könnte uns letztere die tiefe Einsicht bescheren, dass wir endlich gemeinsam handeln und an einem Strang ziehen müssen.