Avantgarde der Staatszerstörer

Delf Bucher

Robespierre, Lenin und Mao Zedong machten es vor, wie eine kleine, gut organisierte Avantgarde der Mehrheitsgesellschaft ihren politischen Willen aufzwingen kann. Der reaktionäre Revolutionär Donald Trump hat von Ihnen gelernt, wie methodisch organisierter Chaos die politische Opposition unschädlich macht.

Hundert Tage im Amt, hunderte von Executive Orders, Dekreten und provokativen Statements des US-Präsidenten Donald Trump erschütterten die Öffentlichkeit – nicht nur in den USA, sondern weltweit. Entlassungen von USAID-Angestellten, Amnestie für Capitolstürmer, Todesstrafe auf Bundesebene, imperiale Gelüste auf Kanada, Grönland und Panama, Migrantenjagd und Deportation, Drill-Lizenzen für die Ölkonzerne, Canceln des Pariser Klimaabkommens, Annäherung an Moskau und Brüskierung Zelensky sind nur einige Stichworte in der langen Liste. Dass der egomanische Liebhaber für seine «schönen Haare» einen grösseren Wasserdurchfluss bei der Trinkwasserversorgung anordnete, zeigt aufschlussreich auf einem Nebenschauplatz, wie Privates bei Trump immer auch politisch ist.

Die vielen News haben nicht nur Amerikaner:innen geschockt. Der allmorgendliche Blick auf die Push-Nachrichten auf dem Handy hat auch meine Blutdruckwerte in die Höhe getrieben. Zur Beruhigung meiner Nerven entschied ich mich, das Stakkato von Trump-News mit historischer Literatur zu vertauschen. Hier war bereits vor dem Lesen in groben Zügen bekannt, wenn auch der Ausgang in der blutigen Weltgeschichte oft kein Happy End gefunden hat. Keine Ungewissheiten, kein hoher Blutdruck.

Irgendwie lockte mich die Biografie Robespierres, dem Massenmörder und Blutsäufer der Französischen Revolution, die vor Jahren antiquarisch erworben, schon lange in meinem Bücherregal wartet, um gelesen zu werden. Robespierre – ein Beispiel, wie Macht zur willkürlichen Gewaltherrschaft umschlägt. Schnell und ungewollt war ich bei Donald Trump angelangt, verknüpfen sich doch leicht die Assoziationen der revolutionären Terrorperiode Frankreichs mit dem aktuellen Zeitgeschehen.

Die Macht einer revolutionären Minderheit

Wie Robespierre nachts in seiner Stube beim Tischlermeister Duplay in der Rue Honoré Dekrete und Todesurteile am Fliessband unterzeichnet, erinnerte dies nicht an Trump, der mit dem schwarzen Filzstift „Sharpie“ seine in spitzen Winkeln auslaufende Unterschrift unter die Executive Orders setzt? Steht der «Unbestechliche» und seine Jakobiner-Sekte nicht Modell dafür, wie eine mit revolutionärer Energie ausgestattete kleine Minderheit eine Gesellschaft in rasender Geschwindigkeit revolutionieren kann?

Und wie Robespierre gegen Aristokraten und Zweifler der Revolution wütete, so geht Trump, geleitet von hasserfülltem Vergeltungsdrang gegen das liberale politische Establishment, gegen Universitäten und Kulturschaffende vor. Und mit immer neuen Orders und Statements schafft er es, wie Robespierre seine politische Gegnerschaft vor sich herzutreiben. Seine unvorhersehbaren, fast undenkbaren Interventionen drängen nicht nur die Demokratische Partei, sondern auch in weiten Teilen die Zivilgesellschaft in die Ecke. In dieser Überwältigung des politischen Gegners zeichnet sich das Gemeinsame der so widersprüchlichen Persönlichkeiten wie dem asketischen Tugendterroristen und dem hedonistischen Sexualstraftäter ab. Hinzu tritt eines bei allen unterschiedlichen ideologischen Vorzeichen: Wie vor ihm bereits die Jakobiner, Bolschewiken oder Maoisten, zeichnet auch Trump und seine Truppe eines aus: ihre revolutionäre Entschlossenheit und Klarheit, um als minoritäre und gut organisierte Gruppe die passive Mehrheit verstummen zu lassen.

Einig im Ziel, den Staat zu zerschlagen.

Natürlich taugen historische Analogien nur bedingt zur Analyse der Gegenwart. Schnell lässt sich einwenden, dass der sprunghafte Trump nicht mit Robespierre oder Lenin zu vergleichen ist. Die Letztgenannten richteten ihre Strategie nach einem streng ideologischen Konzept aus. Und diese Maga-Bewegung (Maga = Make America Great Again) ist doch im Gegensatz zu den Jakobinern und Bolschewiken ein ziemlich wild zusammengewürfelter Haufen, der oft von ganz entgegengesetzten Interessen geleitet ist. Da sind die nationalkonservativen Rassist:innen wie Steve Bannon, das sind Libertäre aus dem Silicon Valley, Bitcoin-Promotoren der neuen Finanzindustrie, evangelikale Abtreibungsgegner:innen und Impfgegner:innen um Robert Kennedy. Aber so divers die Communities auch sind, so einig sind sie sich in einem Kerngedanken: Der amerikanische Staat alten Zuschnitts muss zerschlagen werden.

Die erste Etappe dieser antietatistischen Avantgarde war es, die alte republikanische Partei, die auf dem Fundament Freihandel und transatlantischer Aussenpolitik ruhte, zu zerstören. Mit der Nominierung und der anschliessenden Wahl Donald Trump zum Präsidenten 2016 hatten die alten Herren um George W. Bush nichts mehr zu sagen. Aber erst beim zweiten Anlauf gelang es der Trump-Administration, mit der systematischen Staatszertrümmerung zu beginnen. Nun war ein klar umrissener, methodischer Plan da – das von der ultrakonservativen Denkfabrik ausgearbeitete «Programm 2025». Sein wesentlicher Spiritus rector ist Paul Dans, der sich mit einem bemerkenswerten Essay am hundertsten Tag von Trumps zweiter Amtszeit im britischen «Economist» zu Wort meldete.

«Real Deal» statt «New Deal»

Der führende Kopf für die Blaupause der staatszerstörerischen Strategie machte klar: Trump sei keineswegs der launenhafte Chaot, für den ihn viele halten. Maliziös schreibt er den Europäern ins Stammbuch: «Bleibt ruhig. Hinter allem steckt eine Methode.» Die ersten hundert Tage folgten ihm zufolge dem Skript des Powerplays, das 90 Jahre zuvor Franklin D. Roosevelt (FDR) vorexerziert hatte – nur mit umgekehrten Vorzeichen. « Trump beendete die 90-jährige progressive Ära von FDR und läutete das ‚Goldene Zeitalter‘ des Populismus ein: weg mit dem New Deal und rein mit dem Real Deal. Was bedeutet dies? Ganz einfach: Amerikas Interessen an die erste Stelle zu setzen.

Vor allem eines hätte die Maga-Bewegung von FDR gelernt: Zuerst muss der Justizapparat überwältigt werden, der seit Jahrzehnten die progressive Agenda schützt und damit eine wirkungsvolle Abwehr gegen illegale Migration genauso verhindert wie eine konsequente Drogenpolitik.

Wird der „Real Deal“ obsiegen? Die Geschichte zeigt: Robespierre war doch aufzuhalten und wurde am 9. Thermidor des Jahres II des revolutionären Kalenders gestürzt und unter dem Freudengeschrei der Pariser Bevölkerung einen Tag später hingerichtet. Lenins bolschewistische Avantgarde hingegen währt untergründig bis heute in Russland weiter.

Die Demokratie-DNA macht optimistisch

Ich bin aber optimistisch: Die Terrorherrschaft Trumps wird von der mehr als 250 Jahre gefestigten demokratischen DNA der Vereinigten Staaten überwältigt. Schon zeichnen sich Signale einer erwachenden Zivilgesellschaft ab. Es ist kaum denkbar, dass der Usurpator der Macht mit der gleichen Energie seiner ersten 100 Tage die sich abzeichnende Niederlage bei den Midterms einfach ignorieren kann.

Beitragsbild: Offizielles Foto des Trump Vance Transition Team Hand von Daniel Torok, via Wikipedia. 

  • Peter Conzelmann

    2.5.2025, 14:07

    Ein m. E. wichtiger Unterschied: Robespierre, Lenin und Mao fanden revolutionäre Situationen – das jeweilige Ancien Régime hatte komplett abgewirtschaftet – vor bzw. nutzten in dem entstandenen Zustand des Machtzerfalls und des Chaos die Gunst der Stunde, um sich gegen konkurrierende Kräfte durchzusetzen. Trump kam, wenn auch mit schmutzigem Wahlkampf, so doch auf ganz legalem Weg an die Macht und versucht nun eine „Revolution“ von oben. Daher knüpft sich mein Optimismus nach wie vor an die Vorstellung, dass der Staat der USA trotz allem noch so weit intakt ist, dass das Austesten der Grenzen der Macht eines US-Präsidenten (wir konnten uns diese bisher kaum vorstellen, staunen von Tag zu Tag) am Ende doch auf reale Grenzen stößt, sei es vor den Gerichten, sei es auf der föderalistischen Ebene (die Macht der einzelnen Bundesstaaten), sei es auf der Bundesebene der Legislative (die Midterm Elections im kommenden Jahr). Vor allem aber bin ich davon überzeugt, dass die wirtschaftspolitische Rechnung für Trump und seine Spießgesellen nicht aufgehen wird.

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  • Herbert Lippenberger

    3.5.2025, 17:41

    Bester Delf,
    leider trifft bei Dir der wohl eher literarische Gebrauch von zu Metaphern verkürzten historischen Prozessen fälschlicherweise auf die historischen Wirklichkeiten. Denn eigentlich war das Ancien Regime nicht am Ende – im Gegenteil, Louis XVI. war reformfähig und hatte gute Berater – doch ist der angestrebte Reformprozess an mehr oder weniger Ungeschicklichkeiten und fehlender Erfahrung in der praktischen Ausführung gescheitert – und die Rolle von Robespierre ist eigentlich die eines zwanghaften „Vollziehers“ und nicht die eines Revolutionärs. Das Gleich liesse sich in anderer Form für Lenin sagen (von dem wir ohne den deutschen Generalstab und die Implosion des Zarenreiches im Verlauf des für Russland verlorenen ersten Weltkriegs heute nicht einmal mehr den Namen wüssten) und das lässt sich auch von Mao ZeDong sagen, der den Angriff Japans als auch die Geschichte der chinesischen Demütigung im 19. Jahrhundert brauchte, um ebenfalls mehr zufällig als geplant die Macht dann zu erobern.
    Donald Trump hat seine zweite Präsidentschaft der Schwäche der Linken, der inneren Machtkämpfe der liberalen Demokraten und wohl auch dem sehr geschickten Gebrauch der Socialmedia-Kommunikation zu verdanken. Trump ist kein „rechter – konstervativer“ Revolutionär (was ja auch die Nazis, insbesondere Joseph Goebbels, gerne von sich in Anspruch nahmen). Dieser Mann hat keine „negative“ Utopie, ihm geht es nur im seine Selbstinszenierung. Es gibt ein Bild, das während seiner ersten Amtszeit von ihm, seinen Familienangehörigen und Queen Elisabeth in London anlässlich seines Staatsbesuchs aufgenommen wurde. Die alte Queen sieht erschreckt aus und weiss wohl nicht, wie ihr geschieht – aber D.T. will einfach eine Krone aufs Haupt gesetzt bekommen und die Welt solle so tun, als habe es die letzten 250 Jahre nicht gegeben (und im 18. Jahrhundert gab es ja auch noch keinen Klimawandel, etc…..). Ein naiver Mensch verirrt sich mit Hilfe seiner einflussreichen Supporter ins Zentrum der Macht – da war die Taugenichts-Geschichte von Eichendorff doch erbaulicher. Aber ein Revolutionär ist dieser arme Mann gewiss nicht – weit eher dann aber die Dynamik seines Versagens.
    Herbert Lippenberger

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