
Gleichgültigkeit
Ein Blick auf die Website von „Spiegel online“ am frühen Morgen des 2. August informiert über die neuesten Eskapaden des US-Präsidenten Donald Trump und seiner Helfershelfer mit folgenden Headlines und den Nachrichten dahinter:
„US-Präsident freut sich über den Rücktritt von Notenbankerin Kugler“
Das Fed-Vorstandsmitglied Adriana Kugler hat sich monatelang gegen eine von Trump geforderte Absenkung der Zinsen ausgesprochen. Nun weicht sie dem Druck.
„Demonstranten in Brasilien zünden Trump-Puppen an“
Trump belegt die Ausfuhren des südamerikanischen Landes in die USA mit drastischen Zöllen, explizit mit der Begründung, es würde eine „Hexenjagd“ gegen den früheren brasilianischen Präsidenten Bolsonaro wegen eines Putschversuchs stattfinden.
„Trump wütet gegen Richter, dieser geht in Ruhe zu einem Fußballspiel“
Gleiches Thema, hier nun wird der für den Fall Bolsonaro zuständige brasilianische Richter auf Veranlassung Trumps persönlich mit Sanktionen überzogen.
„US-Präsident entlässt Statistikchefin nach schwachen Arbeitsmarktdaten“
Trump feuert die Chefin der Statistikbehörde, weil ihm die von dieser Institution veröffentlichten Zahlen nicht gefallen.
„Trump kündigt die Entsendung zweier Atom-U-Boote Richtung Russland an“
Trump schickt mit diesen U-Booten eine „scharfe Warnung“ (O-Ton „Spiegel online“) an den Kreml, nachdem er sich in den Tagen davor mit dem russischen Ex-Präsidenten einen verbalen Schlagabtausch in den sozialen Medien geliefert hat.
„Ghislaine Maxwell in Gefängnis mit niedrigster Sicherheitsstufe verlegt“
Die inhaftierte Schlüsselfigur in der für Trump prekären Epstein-Affäre Ghislaine Maxwell, die weiteren Aufschluss zum Fall Epstein geben soll, traf sich letzte Woche mit dem stellvertretenden Justizminister und erhält nun Straferleichterungen.
Im Laufe des Tages wurde das Bouquet noch um folgende Blüten ergänzt:
„Eine Unterschrift von Donald Trump. Was folgt, ist größtes Leid“
Die Nachricht dahinter: Trump hat die Entwicklungshilfebehörde USAID systematisch abgewickelt. Wissenschaftler sagen bis 2030 mindestens 14 Millionen vermeidbare Todesfälle voraus.
„Der Zolldeal mit Trump bedroht die europäische Klimapolitik“
Die Nachricht dahinter: Die EU verspricht den USA, Öl und Gas für 750 Milliarden Dollar zu kaufen. Experten warnen: Das würde Europas Klimaziele gefährden und die Staatengemeinschaft von Trump abhängig machen.
Die letzten vier Beiträge, die ich auf unserem Blog „Zeitenwende“ veröffentlichte (Implosion; Scheindemokratie; Der Zauberlehrling; 50 Tage), drehten sich um Donald Trump und die Krise (den Niedergang?) der Demokratie in den USA. Nach meinem letzten Beitrag schrieb ich an Ernst Köhler, mit dem ich im regelmäßigen Austausch zu unserem Blog stehe, dass ich nun eine Pause einlegen sollte, was dieses Thema anbelangt. Dafür gab es verschiedene Gründe.
Zum einen sind die täglichen Nachrichten übervoll mit Meldungen über Trump, seine Drohungen, seine rüden verbalen Attacken, seine aus der Hüfte geschossenen Dekrete, seine Lügen und Wahrheitsverdrehungen, siehe das aktuelle Beispiel aus „Spiegel online“. Und natürlich mangelt es in sämtlichen Medien nicht an Kommentaren und Analysen. Warum also diesem Berg an Information und Meinung noch Weiteres hinzufügen? Macht sich außerdem nicht allgemein eine gewisse Müdigkeit oder Aversion breit, sich ständig mit diesem Potentaten in Washington zu befassen? Sollte man das Ganze nicht wie ein schweres Unwetter hinnehmen, das sich irgendwann wieder verzieht, und bis dahin möglichst pragmatisch mit ihm umgehen wie zuletzt die Kommissionspräsidentin der EU?
Mich plagten zum anderen aber auch Zweifel und Skrupel. Teils wegen Trump selbst, da ich merkte, wie mein Ressentiment gegen ihn als Person, bei allem Bemühen um Sachlichkeit, von Tag zu Tag wuchs und Dimensionen des Ekels und des Hasses annahm. Mehr aber noch, weil ich die USA in meinem Beitrag vom 4. Juli als „Scheindemokratie“ bezeichnet habe. Bin ich hier in meiner Kritik nicht zu weit gegangen? Übersah ich nicht die Kraft der die USA prägenden und stabilisierenden „Checks and Balances“, die selbst ein Donald Trump nicht völlig zum Einsturz bringen könnte? Unterschätzte ich nicht die Gegenbewegung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft, den Widerstand, der sich da und dort aufbaute und vernehmbar wurde? Überschätzte ich nicht die Wirkung der Trumpschen Politik, die im Grunde konzeptlos daherkommt und sich laufend in ihrer eigenen Widersprüchlichkeit verheddert? Vor allem: Wie kann ich als Außenstehender, der die USA aus persönlicher Anschauung so wenig kennt, mir ein so fundamentales Urteil erlauben?
Am 27. Juli erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter dem Titel „Woher kommt die Gleichgültigkeit in Trumps USA?“ ein sehr lesenswerter Beitrag von Olivier Guez. Der in Straßburg geborene Schriftsteller und Journalist unterrichtete zuletzt an der Universität in Princeton in den Fächern Französische Literatur und Geschichte der europäischen Kultur. Guez kann auf vielschichtige Erfahrungen und persönliche Kontakte in den USA zurückgreifen.
Guez dichter Text kulminiert in folgenden Aussagen:
„Seit seiner Rückkehr an die Macht untergräbt Trump die Grundfesten der amerikanischen Demokratie. Er hat seine Prärogative (ein Prärogativ ist ein ausschließliches Recht, das von einer Regierung oder einem Staat verliehen und einer Einzelperson oder Gruppe übertragen wird und dessen Inhalt von den Rechten getrennt ist, die nach dem allgemeinen Recht gelten; PC) immer weiter ausgedehnt, Bundesbehörden und Gegenkräfte geschwächt und Parlamentarier, Dissidenten und potentielle Gegner eingeschüchtert, indem er finanziellen Druck ausübte und mit Gerichtsverfahren drohte, um Richter, Anwälte, Medien und Universitäten auf Linie zu bringen. Er wettert gegen die Medien als „Feinde des Volkes“ und hat die Museen unter seine Kontrolle gebracht, insbesondere die Smithsonian Institution in Washington, deren Häuser sich mit der Geschichte der Vereinigten Staaten befassen. Nun sollen sie seine Verdienste, sein unermessliches Vermächtnis für die Menschheit würdigen und gleichzeitig all seine Ecken und Kanten wegpolieren. Wie in Russland und China wird das ideologische Narrativ über die historische Wahrheit triumphieren.“
(…)
„Er berauscht sich an abwegigen Statistiken und lügt ungestraft am laufenden Band. Er schmeichelt dem Verfolgungswahn der Deklassierten und gibt ihm Nahrung, indem er einen monströsen Feind an die Wand malt, eine doppelte Bedrohung, wie Elias Canetti in „Masse und Macht“ (1960) schreibt: durch den Feind vor den Mauern – die degenerierten Europäer, die Nationen, die von der kommerziellen Freigebigkeit Amerikas profitieren – und den Feind im Keller – Vertreter der Wokeness, illegale Migranten, die Sündenböcke sind.
Er zieht über Kultur und Wissenschaft (den Klimawandel) her, ist in den Medien überpräsent und schwingt große Reden. Er ist ein talentierter Schauspieler und Regisseur, ein Apostel des Kitschs und protziger Zurschaustellungen wie der neuen Vergoldungen im Weißen Haus.“
(…)
„Der Staat ufert nicht aus, sondern ist in einzelne Lehen zerstückelt, die fest im Griff steinreicher Barone sind. Die Regeln verschwimmen, Modalitäten gelten nur vorübergehend; sie sind Sache des Fürsten, wie in Ungarn oder El Salvador, deren Regierende Trump bewundert. Das Regime ist das Ergebnis eines Systems, das durch Geld korrumpiert worden ist, seit der Oberste Gerichtshof es im Namen der Meinungsfreiheit untersagt hat, die Werbeausgaben für die Wahl eines Kandidaten zu begrenzen (Citizens United v. Federal Election Commission, 2010); eines Systems, das nicht in der Lage war, ihn, den Putschpräsidenten, zu entfernen oder zu verhindern, dass Biden, sein greiser Nachfolger, von seinem Clan unter Missachtung des obersten Interesses des Landes dazu angetrieben wurde, ein weiteres Mal das höchste Amt anzustreben. Dieses Land ist seit geraumer Zeit eine Scheindemokratie.“
Guez‘ Beitrag erschien fünf Tage vor den Meldungen auf „Spiegel online“ und liest sich wie ein Kommentar zu dem, was dort über die Handlungen des Herrschers im Weißen Haus innerhalb weniger Stunden bzw. Tage berichtet wird. Durch diesen Beitrag, den ich in seiner Gänze zu lesen ich empfehle, wurde ich zumindest in meiner Haltung in der Frage der „Scheindemokratie“ bestätigt.
Seltsam beruhigt hat mich auch, dass Guez offenbar die gleichen Bedenken quälten wie mich, wenn er an Trump und die USA dachte:
„Oder leide ich etwa am „Trump Derangement Syndrome“ (TDS), dem zufolge man den Präsidenten, egal was er unternimmt, als Diktator wahrnimmt? Schließlich wählen die Amerikaner (noch), die Demokraten versauern nicht im Gefängnis, und Bernie Sanders musste nicht aus dem Land fliehen. Der „New Yorker“ schießt, ebenso wie die „New York Times“, täglich aus allen Rohren gegen die Regierung. Die Vereinigten Staaten von 2025 sind nicht das Deutschland von 1933; Trump kein Nachahmer der großen Menschenfresser des vergangenen Jahrhunderts, sondern eine autoritäre Kreuzung aus Muhammad Ali („I Am The Greatest!“) – in seinem krankhaften Bedürfnis nach Aufmerksamkeit – und Salvador Dalí: allwissend und allmächtig, Muhammad Dalí hat kein Über-Ich.“
Trump also nur ein Popanz, den wir uns größer machen als er in Wirklichkeit ist? Timothy Snyder legt diese Interpretation in einem jüngst erschienenen Beitrag in der Neuen Züricher Zeitung unter dem Titel „Schwacher «starker Mann» – Donald Trump erzielt nur da Wirkung, wo andere sich unterwürfig zeigen“ nahe.
Einen wichtigen Punkt aus dem Beitrag von Guez möchte ich besonders hervorheben. Es ist die in der Überschrift angegebene Gleichgültigkeit:
„Am meisten hat mich während meines Aufenthalts die Gleichgültigkeit frappiert. Die Gleichgültigkeit meiner Studenten und die vieler New Yorker Bekannter, die nur über Politik reden, wenn man ihnen keine andere Wahl lässt. Schon in den 1840er-Jahren hatte Alexis de Tocqueville die Gleichgültigkeit als wichtigsten Gärstoff einer möglichen Tyrannei in Amerika (und anderswo) erkannt. Die Demokratie „wirft den Menschen unablässig auf sich selbst zurück und droht ihn ganz in der Einsamkeit seines Herzens einzuschließen“. Das Individuum, das „allein danach trachtet, reich zu werden“, hat kein Interesse mehr an der öffentlichen Sache. Es „überlässt die große Gesellschaft nur zu gern sich selbst“. Die Demokratie implodiere aufgrund der politischen Gleichgültigkeit, warnt der französische Adlige in „Über die Demokratie in Amerika“ (1835); und sobald er an der Macht ist, schürt der Despot sie: Sie ist seine beste Verbündete.“
Es ist eine Gleichgültigkeit, vor der, wenn wir ehrlich sind, auch die demokratischen Gesellschaften Europas nicht gefeit sind.
Olivier Guez, Woher kommt die Gleichgültigkeit in Trumps USA?, FAZ, 27.07.2025
Timothy Snyder, Schwacher «starker Mann» – Donald Trump erzielt nur da Wirkung, wo andere sich unterwürfig zeigen, NZZ, 12.06.2025
Abbildung: Giovanni Battista Quadrone, „Gleichgültigkeit“ (1895) – Privatsammlung