«Rote Sterne überm Feld» von Laura Laabs
– oder die Sehnsucht nach der kindlich-revolutionären Unschuld der DDR –
Letzte Woche lief der Film «Rote Sterne überm Feld» an der Leipziger Kunstfilmmesse. Seit 25 Jahren wird von der AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater ev. – in Leipzig eine repräsentative Auswahl von künstlerisch anspruchsvollen Filmen vor den versammelten Branchenvertretern der deutschen Arthouse-Kinos (partiell auch Kommunalen Kinos) gezeigt. Die gleichfalls anwesenden Verleihfirmen bewerben hierbei die Kinobetreibenden mit den aktuellen Produktionen, die zuvor an den europäischen Filmfestspielen ihre Premiere hatten.
Das Treffen gibt sich hochkarätig, dieses Jahr gab es sogar eine indirekte Grussbotschaft des deutschen Bundespräsidenten nach Leipzig. Der Verbandsvorsitzende Christian Bräuer brachte die bekannte, wenn auch wichtige Botschaft mit, dass Frank-Werner Steinmeier die Arthouse-Kinos als elementaren Teil der demokratischen Kultur in Deutschland betrachte, die die heute bedrohte humanistische Kultur des Landes massgeblich verteidigen würden.
Eine Auswahl der in Leipzig gezeigten Filme wird nun im kommenden Jahr auf die Leinwände der «Filmkunst-Kinos» geworfen – und tatsächlich ging ich nach dem einwöchigen Filmmarathon mit einem gestärkten Gefühl von Leipzig. Unsere Welt und die uns wichtigen Werte sind zwar massiv unter Druck, doch wir sehen im Licht auf der Leinwand auch die Möglichkeit des Anderen und die Chance zur Besserung der Verhältnisse.
Leider ist der Takt der Vorführungen sehr eng, weshalb es nicht zu einem ausführlichen Gespräch mit Laura Laabs kommen konnte, die im Anschluss an die Vorführung ihres Films «Rote Sterne überm Feld» für einige Minuten anwesend war.
Ich konnte der anwesenden Regisseurin nur kurz mein Befremden über ihre Arbeit mitteilen sowie die für mich unredliche Form Walter Benjamins berühmten Text über den Engel der Geschichte ohne Namensnennung des Urhebers sehr zentral im Film mehrmals zu zitieren. Dass dann irgendwann am Ende des Abspanns noch Walter Benjamin genannt wird, ist für mich nicht akzeptabel.
Hier wird bewusst eine Verbindung mit einem zentralen historischen Bild aus dem kritischen Kontext der 30er Jahre für einen Film genommen, der in seinen Bildern und in der Filmhandlung für mich der «Vorschein» und die Identität eines der AfD nahestehenden Kunst- und Kulturbegriffs trägt.
Der Film ist für mich die Offenbarung einer vermeintlich linksradikalen Identität aus der ideologischen Erbschaft der DDR. Die DDR steht für eine «gesunde» Volksgemeinschaft als Produkt der Befreiung von der NS-Herrschaft dank dem Kampf der Roten Armee und dann dem vermeintlich von den DDR-Bewohnern mit Freude und Elan inszenierten stalinistischen Staatssozialismus.
Die Regisseurin ist auch die Autorin des Films und stammt aus der Elite der vormaligen DDR-Intelligenz. Ihre Eltern und Grosseltern waren der DDR-Kultur verbunden, keineswegs jedoch blinde Parteigänger oder dumpfe Propagandisten.
Die Mutter, Daniela Dahn, studierte an der Hochschule für Film und Fernsehen «Konrad Wolf» in Potsdam-Babelsberg und die jüdische Grossmutter, Sybille Boden-Gerstner, war Gründerin und Herausgeberin der in der DDR wichtigen Modezeitschrift Sybille. Laura Laabs hat über ihre Grossmutter den Film «Enkel der Geschichte» gedreht. Hier zeigt sich bereits im Filmtitel ihre Fixierung auf filmische Darstellungen eines klischeehaft reduzierten, postmodern-marxistischen Geschichtsverständnisses. «Enkel der Geschichte» versucht wohl mit den Mitteln des (Unterhaltungs-)Films den «historischen Materialismus für die Generation Z» zu veranschaulichen.
Der Film «Rote Sterne überm Feld» ist folgerichtig der nächste, mächtige Rundumschlag im Duktus dieses zur Unverständlichkeit verkürzten, dualistischen Geschichtsbilds. Es gibt nur gut oder böse, und am Ende siegt dann dank den Opfern von Märtyrern stets das Gute.
Die Filmhandlung beginnt mit einem infantil inszenierten Anschlag auf das Berliner Reichstagsgebäude, an dessen Ende die schwarz-rot-goldenen Bundesfahnen durch mächtige rote Bannern ersetzt werden. Das Täterpaar arbeitet in romantischer Verkleidung als schwarz vermummte Attentäter. Der Reichstag mit den wehenden roten Fahnen wird zur zentralen Botschaft des Films. Dem Land soll der gestohlene Sozialismus wieder zurückgegeben werden, der zuvor von der roten Armee unter grossen Opfern quasi als Geschenk überreicht worden war. Die weibliche Reichtstagsterroristin flieht dann zu ihrem alten Vater aufs Land nach Mecklenburg, der ein hübsches, rurales Fachwerkhaus bewohnt, das zuvor Teil der LPG (Landwirtschaftlichen Produktionsgemeinschaft) «Glücksstern» gewesen war. In einer Erinnerungsschlaufe erinnert sich die Protagonistin daran, dass sie als kleines Kind einem sowjetischen Schützenpanzer mit Rotem Stern zum Abschied gewunken hat, und auf der ehemaligen LPG gibt es einen Traktoren-Stahlseil-Wettkampf, bei dem natürlich der alte sowjetische Traktor gewinnt. «Der Russe gewinnt immer» heisst es dann aus dem Munde eines Zuschauers am Rande des bodenständigen Maschinen-Kampf-Wettkampfs.
Es wird viel Schnaps getrunken, Hackfleisch mit Salzstangen werden zu Pseudoigeln drapiert und die Windkraftanlagen sind böse, da sie nur helfen den kapitalistischen Zustand mit pseudogrünen Massnahmen zu verlängern, weshalb die Masten gesprengt werden müssen. Ein guter russischer Archäologiestudent darf noch zum Liebhaber der versteckten Rebellin werden. Deren Mutter war eine ehemalige RAF-Terroristin, die im sozialistischen Biedermeier in Deckung gegangen ist und mit dem frustrierten und saufenden Vater nämliche Revolutionärin zeugte. Der Vater bekennt sich zu seiner Stasimitgliedschaft, denn dadurch konnte er verhindern, dass die Reformer und Verräter das Land zu Grunde gerichtet hätten.
Till Lindemann, der Frontsänger von Rammstein, darf in einer filmimmanenten, historischen Erinnerungsschleife als Erlkönig in der alten Windmühle die historische Vorgängerfigur der dann als Terroristentochter wiedergeborenen Revolutionärin auf einem Haufen Mehlsäcken atmosphärisch düster kopulieren.
Laura Laabs sagte noch auf der kurzen Nachbesprechung, dass sie bewusst darauf verzichtet hätten, Lindemann aus dem Film zu nehmen, zumal er in der geografischen Nähe des Drehortes lebe und der Missbrauchsvorwurf sein filmisches Engagement nicht belaste.
Der Film macht die untergegangene Staatsform, den repressiven und stalinistischen Staatssozialismus, zur Utopie für eine Generation der Nachgeborenen oder Ewiggestrigen. Auf den Previews des Verleihs wird gut «altdeutsch» Eierlikör ausgeschenkt und das Filmplakat arbeitet mit einer Kollage aus verschiedenen Schrifttypen, bei denen die altdeutsche Frakturschrift aber letztlich bestimmend ist.
Alles Schlechte kommt aus dem Westen, u.a. die Windkraftanlagen. Der Osten hatte eigentlich das Glück, das dann nach dem Mauerfall aus irgendwelchen, nie genannten Gründen, verloren ging. Die Menschen aus dem Westen sind sichtbar dumm dargestellt, schauen nur auf die Uhren, fahren VW-Golf und ignorieren das östliche Glück.
Die Ereignisse um die Schiesserei in Bad Kleinen zwischen der GSG-9 und zwei (oder drei) aufgedeckten RAF-Mitgliedern wird mehrfach zitiert, und sogar theaterpädagogisch in einer Dorfschule von der Protagonistin nachinszeniert.
Wie auch bei den anderen historischen Verweisen soll gezeigt werden, dass der böse, aus dem Westen kommende Kapitalismus den Sozialismus und seine Menschen zerstörte. Es gibt gleichfalls Bezüge in die NS-Zeit mit historisch belegten Wehrmachtsbriefen, die wieder dazu dienen, darzustellen, wie düster alles Alte war und dass nur der Sozialismus in der DDR diese Welt neu aufstellen konnte. Die Nazi-Soldaten kämpften denn auch ausschliesslich gegen die Sowjetunion, die sich aber letztlich siegreich wehren konnte. Dies wird in Form des bekannten Fotos dargestellt, bei dem Rotarmisten die Fahne mit Hammer und Sichel auf der Reichstagsruine hissen. Dass Hitler-Deutschland ganz Europa angegriffen und zerstört hat, wird nicht erwähnt, nur der Opfergang der Sowjetunion ist von Belang.
Es wird dann noch eine Moorleiche gehoben, die irgendwie aus den letzten 100 Jahren stammen soll, also als ein Symbol der kollektiven Schuld angesehen werden kann. Und der letzte grosse Märtyrer war Willi, der idealistische Leiter der LPG, der sich aus Verzweiflung darüber, die sozialistische Wohlfühlinsel nicht retten zu können, wohl auch im Moor das Leben genommen hat.
Der Film endet in einer bizarren Choreografie der ehemaligen LPG-Bewohner, die auf dem Feld eine Art Fruchtbarkeitsprozession mit Pfingstbäumen veranstalten, wozu noch ein Traktorenballett tanzend auffährt.
Der Film wäre banal, wenn er nicht bereits mit diversen Preisen und öffentlichem Lob auf die Leinwände gehen könnte. Einzig die Angst vor Protesten gegen die Teilnahme des Rammstein Sängers Lindemann sind bisher ein Problem gewesen.
Interessant ist u.a., dass die RAF durch die Ereignisse am Bahnhof von Bad Kleinen im Film von Laura Laabs zur kritischen Gegenkraft gerechnet wird, obwohl die RAF aus dem Westen kommt. Anders schreibt Helga Schubert darüber in ihrer Darstellung «Vom Aufstehen» (dtv 2021), dass für sie die RAF ein Ausdruck der «Westrevolution» gewesen sei, die für die DDR keine Bedeutung gehabt habe.
Doch der Film braucht die RAF genauso wie die gute Rote Armee und die Hofgemeinschaft der alten LPG, um zu zeigen, dass die Kraft des Widerstands gegen den letztlich immer aus dem Westen kommenden Kapitalismus eben aus dem Osten und der ruhmreichen sozialistischen Sowjetunion kommt.
Solch ein Geschichtsbild kann dann Putins Angriff auf die Ukraine problemlos als Verteidigungskrieg gegen den dort von der NATO gestützten Faschismus verstehen.
Noch perfider ist jedoch die Inszenierung der bäuerlichen Unschuld in der LPG – glückliche Menschen wurden von ihrer Scholle gerissen und der herzensgute LPG-Chef Willi bringt sich verzweifelt um.
Der Sozialismus wird als Utopie in Form der roten Fahnen auf dem Reichstag ins Bild gesetzt, seine reale Umsetzung in der DDR aber ins märchenhafte verdreht. An seinem Vortrag im Konstanzer Bodenseeforum (29.09.25) erwähnte Herfried Münkler dazu ganz passend, dass der 48er Marx immer Polen und die Ukraine als Gegner gegen das autoritär-despotische Russland gesehen habe und dass in der Marx-Engels-Ausgabe der DDR diese Textstellen bewusst weggelassen worden seien.
«Rote Sterne überm Feld» wird gewiss kein Publikumsrenner. Der Film erscheint mir jedoch als Zerrspiegel einer vermeintlich radikalen und sich sozialistisch fühlenden Protestkultur, die ohne Scheu Walter Benjamins Bild über den Prozess der Geschichte als Off-Text für eine disneyhafte Verkitschung der vom Westen zerstörten DDR-Staatsidylle stellt.
Das Bild der glücklichen deutschen Menschen, die frei vom westlichen Einfluss im Glück des Sozialismus leben konnten, steht dabei im Kontext der von der AfD gepflegten Gesellschaftskritik am Westen und der demokratischen Gesellschaftsverfassung. Das Gute kommt aus dem Osten, der die deutsche Scholle befreite und lange Zeit gegen die Einflüsse des Westens schützte. Das Parlamentsgebäude soll durch die roten Fahnen wieder den Geist des autoritären Sozialismus bekommen. Der Film und seine Autorin geben sich linksradikal, zeichnen letztlich aber eine rückwärtsgewandte, völkisch-nationale Utopie, die im Schutze der untergegangenen Sowjetunion glücklich und bis in alle Tage hätte existieren können, wenn nicht der aggressive, kapitalistische Westen alles zerstört hätte.
Banaler kann Geschichte kaum gezeigt werden – doch entfaltet sich hieraus eine enorme Kraft der Zerstörung und aggressiven Simplifizierung.